Tag 18 bis Portmarin
- Corina Salerno

- 22. Apr. 2022
- 8 Min. Lesezeit
Heute morgen bin ich so gut erholt, zufrieden und schmerzfrei aufgestanden. Der Baileys gestern Abend hat Wunder gewirkt. Nach einem Frühstück (das erste Mal mit dunklem Brot)🙏 sind wir bei Regen gestartet. Ich hatte von der Stadt Sarria ein anderes Bild, als das was ich hier nun antreffe. Im Internet steht es sei eine überflutete Stadt, wo es vor allem um den Kommerz und den Tourismus geht. Da wir aber gestern Abend wirklich müde waren und nur bei der Pizzeria über die Gasse etwas gegessen haben, habe ich von diesem ganzen Runmel hier, gar nichts mitbekommen. Heute morgen, als wir die Stadt durchqueren, ist es nichts anderes als eine Kleinstadt mit einer "Bahnhofstrasse" wie in Zürich. Ich denke, da ich ein Stadtkind bin, habe ich mit diesem ganzen Tourismus, den Läden und allem drumherum, überhaupt kein Problem. Ich verstehe, dass die Menschen hier den Nutzen aus den Pilgern ziehen. Macht ja jedes Land, jeder Ort, genau gleich. Schlussendlich sind wir es, die Pilgerer, welche in diese abgelegenen Ortschaften etwas Geld bringen. Für mich voll okay. Ich muss ja nichts kaufen. Wir verlassen die Stadt in einer leichten Steigung. Oben auf dem Hügel bekomme ich eine schöne Sicht auf Sarria. Das Zimmer war hier super sauber, die Herberge total warm, was will Frau mehr, mehr brauche ich nicht. Schon nach 2 km beginne ich zu realisieren, dass es stimmt, was ich eben noch nachgelesen habe. Ab hier, gibt es die allermeisten Pilgerer. Viele gehen diese letzten gut 120 km, damit sie die Compostela zum Schluss erhalten. (100km ist Pflicht) Ich wusste, was mich erwartet, doch bin ich trotzdem irgendwie etwas "gefrustet". Es ist ein komisches Gefühl, mit so vielen Leuten gleichzeitig zu wandern. Es fehlt die Möglichkeit in sich zu gehen und für sich alleine die Gedanken zu ordnen. Zu viele Pilgerer die ablenken. Es ist wie ein Rennen zum Ziel. Ich bleibe innerlich trotzdem ruhig, fokussiere mich und konzentriere mich auf meine Füße und die schöne Landschaft. Ich spüre stark, ab heute braucht es ganz viel inneren Frieden um nicht diesem Druck, schnell ankommen zu müssen und dieser Rennerei zu verfallen. Ich versuche die Strecken so zu definieren, dass wir den vielen Menschen etwas entkommen. So werden wir velleicht nicht immer in den grossen Ortschaften übernachten. Ich geniesse diesen Tag heute, trotz Regen, Sonne, Wolken-Gemisch und nehmen den Tag wie er kommt. Versteht mich nicht falsch, ich verurteile es nicht und freue mich für jede Person die hierher kommen darf und läuft. Auch wenn es eifach die 100km sind. Aber das wäre bestimmt nicht meins. Und es herrscht plötzlich ein ganz anders Ambiente. Auch in den Bar's wo wir jeweils Halt machen, ist es laut, niemand schaut mehr auf den anderen. Und das "buen camino" wird immer seltener. Während dem hintereinander her laufend, muss ich trotzdem plötzlich lächeln. Ich rieche hier verschiedenste Parfums, was ja gut riecht, aber irgendwie passt es nicht zum Rucksack-Outfit. Oder eben doch,- für die einen oder anderen. 🤷♀️ Trorzdem ist es schön, die Freude zu spüren, welche die Mensch sicher trotzdem haben. Die Umgebung wirkt auf alle positiv und ist sehr schön. Wir laufen steil den Berg hoch und es hat hier sehr viele Wasseradern und Strahlungen im Boden. Ich sehe das den Bäumen an. Sie sind total verknorrt und das sieht wunderschön aus. Ich bleibe einen Moment stehen, genisse die Energie und warte, bis sich mein Puls wieder normalisiert. Wir lassen einen grossen Teil der Pilgerer an uns vorbei ziehen, ganz bewusst! So langsam kommt die Sonne hervor und ich beginne bereits zu schwitzen. Heute wandert mein Blick ständig ein wenig nach rechts und links, an den Rand der grünen Felder. Ich finde einige bekannte Kräuter wie Spitzwegerich für das RICOLA Hustenbonbon, frische Brennesseln, Sauerampfer, und Kamille, sogar wilde Pfefferminze ! Alles muss an meine Nase und daran gerochen werden! Ich liebe es! Bei der ersten (heute) Pepsi-Cola ziehe ich meine Regenklamotten aus. Das Wetter soll sich bessern. Gleichzeitig beobachte ich einen jungen Herrn. Er schreibt und schreibt und schreibt in seinen Handy-Notizen und ich frage ihn; "Hey, schreibst du einen Blog?" und er lacht und sagt: "na klar, ich schreibe jeden Tag mehr, es ist verrückt!" 🤣 "me too" sage ich und lache! Er kommt aus der Tschechoslowakei und heißt Omra. Er war auch schon einmal in Zürich, als er noch ein Kind war. Beim raus gehen, aus der Bar, spricht mich der Wirt an, er muss wohl das Gespräch mit Omra gehört haben und fragt, von wo aus der Schweiz ich komme. Ich sage aus Zürich. Auch er ist davon begeistert und erzähl ganz viel. Es scheint, er kenne die halbe Schweiz! Er erzählt von Interlaken, Genf, Grindelwald, Bern, Zürich usw. und ich sehe ein Strahlen in seinen Augen.
DAS macht mich GLÜCKLICH ! Wenn Menschen sich ab meiner einfachen Präsenz freuen!😁 Gegen Mittag habe ich plötzlich enorm Lust auf einen Schweizer Cervela (Wurst vom Grill). Ich gebe meine Gelüste kund und komme mit meinem Schwager auf die Idee, dass wir einmal zusammen italienische Würste selber machen könnten. Früher hat das unsere Schwiegermutter immer für uns gemacht. Vittorio hat die Maschine dazu, wo man den Schweinedarm aufzieht. Grob gehaktes Schweinefleisch, Fenchelsamen, roter Pfeffer, etwas Salz und Peperoncino Flocken werden gemischt und daraus Würste gemacht.
Nein keine Cervelat's die kann ich nicht selber machen ! Abgemacht, diesen Sommer machen wir Salsiccia zusammen 🇮🇹. Heute stehen am Wegesrand wieder viele von diesen kuriosen, riesigen Bäumen. Die mit dem dicken Stamm und oben den neu gewachsenen Baumstämmen. Leider hat es immer noch keine richtige Blätter daran und ich kann nur vermuten, dass es Buchen-Bäume sind. Wären die Bäume nicht so groß würde ich behauptet, dass ist eine Art den Baum zu veredeln. So wie wir das mit Apfel- und Birnenbäume oder mit Traubensorten machen. Immer noch tappe ich im Dunkeln, niemand weiss darüber bescheid. Heute ist für mich der Tag des Baumes! Form, Größe und Energie... vielfältiger geht's nicht! 😍 Habt ihr schon einmal einen Wald gesehen, wo der gesamte Boden mit Brombeer und Himbeerstauden bedeckt ist?? Was für ein schönes Bild. Hier möchte ich mich im Sommer hinsetzen und mich mit diesen süssen Beeren vollstopfen. Schon vom Weiten höre ich Gitarrengeklimper und eine sonore Stimme. Dann sehe ich Ihn, den Gitarrenmann! Ein kurzes Lächeln, ein Hallo, zwei Worte, - ich kann ja kein Englisch und er nichts anderes als Englisch😂. Doch dieses Lachen gibt und beiden eine so gute Energie.
Buon camino a todos ! Erneut laufe ich heute an einer Frau vorbei, die mir schon einige Male aufgefallen ist, doch es blieb bei einem freundlichen "buon camino". Jetzt entscheide ich mich, sie anzusprechen und es ist eine nette Begegnung. Sie heisst Margrit, kommt aus Ostfriesland, spricht perfekt Deutsch und wir lachen ein wenig zusammen. Sie macht die ganze Strecke alleine und schreibt ebenfalls einen Blog. Auch Margrit hatte heute die gleiche Idee und liess die schnellen, vielen Wanderer an sich vorbeiziehen. Nun geniesst sie, wie wir, die beinahe leeren Pfade. 11:45 Uhr und ich bin ganz bei mir. Es ist immer wieder schön, zu verstehen wie viel Glück und Freude in mir selber liegt. Ich kann ausblenden, was für mich im Moment nicht stimmig ist und ich kann mich dem widmen, was mich glücklich macht. Ich bin so erfüllt von Kleinigkeiten hier auf dem Weg, wie die Pflanzen, ein freundliches Lächeln ein paar Worte und die Herz Verbindung steht und freut mich. Es ist wie ein Pflaster gegen die Schmerzen. Für mich ist es hier definitiv nicht genau DIE Strecke, die ich gehen will, die ich ausgesucht hätte, aber es sind die Momente auf dieser Strecke die mich berühren, erfüllen und die mich für s'Leben etwas lehren. Alles werde ich mitnehmen, in mein Herz pflanzen, bewirtschaften und wachsen lassen. Und all das steigert meine Resilienz, für alles was im Leben noch kommt. Komische Gebäude stehen hier überall bei den Höfen. Meinem Schwager sind sie aufgefallen. Er sagt, das sind bestimmt Insektenhotel's. Es ist ein kleines Gebäude aus Backsteinen und in diesen Löchern hätten die Insekten wunderbar Platz. Gute Idee, Vittorio, bestimmt hat er recht. Auch den Kühen in dieser Region scheint es gut zu gehen. Ihr Fellnist so glänzend! Sie scheinen sehr entspannt und haben von uns Pilgerer keine Angst. Ich vor ihnen schon, aber das ist eine andere Geschichte! Es hat nun immer mehr Kühe auf den Weiden. Vor Galizien hat man kaum eine Rinderherde gesehen. Ich habe mich immer gefragt woher dieses Fleisch wohl stammt, welches ich jeweils esse. Obwohl, ich habe bis jetzt ja fast nur Hähnchen 🐔und Salat gegessen. Hühner hat es genug auf dem ganzen Weg. Mich inklusive. 😁 Heute ist mir noch etwas spannendes aufgefallen. Es liegt wohl in der Natur oder eventuell in der Erziehung, oder es ist eine Prägung, - wie ein Mensch geht, sich beim Gehen bewegt. Wir Europäer gehen ganz anders als die asiatischen Völker. Sie laufen mit viel kürzeren, schnelleren Schritten und es sieht aus als ob das Gehen federleicht wäre. Es ist mehr wie ein Trippeln. Sie setzen die Füße nur ganz kurz auf und rollen den Fuß aber auch nicht so stark ab. Dies ist einfach eine Erkenntnis. Und es macht mir Spaß die Menschen zu beobachten. Etwas muss ich heute noch loswerden, ich ärgere mich gerade ob den Zuständen in den Toiletten unterwegs. Bis zum heutigen Tag war immer alles sauber. Man konnte problemlos die Toilette benutzen, überall ! Seit heute ist es eine Katastrophe. Wie kann es sein, dass auf einer Damentoilette alle möglichen Exkremente sichtbar sind. Toilettenpapier am Boden und alles andere was ich nicht benennen möchte.. Was soll das??? Wo bleibt der Respekt allem und allen gegenüber !!?? Ich verstehe das nicht. Ich schäme mich für so ein Verhalten! Traurig ! 13:30 Uhr Korrektur vom Text. Ich habe José den Bauern getroffen, ein wunderbar sympathischer, lustiger Mensch. Ich habe gefragt und er hat mir erklärt, dass diese kleinen Häuser aus Backsteinen, NICHT für die Bienen oder die Insekten sind, sondern, dass darin der Mais getrocknet und aufbewahrt wird. Diesen Mais essen dann die Kühe.
Früher, erklärt mir José, als er ein Junge war, wurden daraus noch leckere Maistorten gebacken.
Eins zu null für Corina, 😁 ich bin richtig gelegen mit meiner Vermutung, dass wohl etwas darin gelagert wird. (Gäll Schwager😉) Weiter auf dem Weg, ein kurzes Lächeln zu einer älteren Dame, sie fragt mich im vorbei gehen wie man "buen camino" richtig ausspricht. Leider kann ich ja kein englisch und es wird ein etwas kompliziertes, doch lustiges Hand-Zeichen-Wortfetzen-Gespräch. 🇬🇧🇨🇭 Ich habe verstanden, dass sie aus der USA (!) kommt und nur für sechs Tage, die letzten 100 km von Sarria aus nach Compostela macht. Könnte ich Englisch würde ich sie mit Fragen löchern. Mich würde interessieren, weshalb sie bis hierhin nach Spanien reisst, um 100 Kilometer auf einem Weg zu gehen, der wohl sehr historisches ist, aber sonst nicht speziell viel zu bieten hat. Ich hoffe, ich treffe Sie noch einmal, so kann ich mit meiner Translator-App, mit Ihr, noch etwas sprechen. Große Herausforderung vor Portomarin, unserem Etappenziel. Wir müssen einen breiten Fluss überqueren. Vor dem Fluss läute ich noch voll motiviert die Freiheitsglocke 🔔, ohne zu begreifen, dass ich gleich über diese hohe Brücke laufen muss !! Ja, die, welche mich kennen, verstehen was das für mich heisst. Ich habe extreme Höhenangst. Und jetzt geht's wieder um meine Resilienz! Corina, wo im Leben hast Du schon mal eine solche Situation gemeistert?? Ich muss nicht lange suchen, es war auf dem Grat des Jura Höhenweg ⛰️. Ich schaffe das ! Ich muss auf die andere Seite des Flusses! Atmen, konzentrieren und los laufen. Ich habe es geschafft und ich bin stolz! Wir haben noch etwas 4 Tage bis Santiago. Wir sind gut in der Zeit. Ich hoffe es bleibt noch Zeit und Kraft für "Das Ende der Welt"
Dem Kap Finisterre an der galicischen Küste. Jenseits der trubeligen Pilgerhauptstadt verspricht man sich von diesem Ort, Ruhe und Zeit zur Besinnung nach einer ereignisreichen Jakobswegreise. Wir werden Entscheiden, wenn wir in Santiago sind.





















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